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VI.

Am Sonntag ist Eila mit ihren Eltern Franz und Hanna zum Frühstücksbrunch verabredet. Da diese überhaupt gar nichts mit der esoterischen und übersinnlichen Welt am Hut haben, richtet sie sich auf einen entspannten Morgen mit lustigen Themen ein.

Als sie am Häuschen ihrer Eltern eintrifft, wird sie bereits im Vorgarten freudig von deren Bernersennenrüden Fritz begrüßt, lachend rangelt sie einige Minuten mit ihm und geht dann mit ihm die Stufen zur Eingangstür hoch.

Vin drinnen hört sie ihre Mutter rufen: „Fritz darf nur rein, wenn er saubere Füße hat.“

„Soll ich ihm die Hausschuhe anziehen?“ fragt Eila kess.

„Mach dich nicht über deine Mutter lustig.“ liebevoll kneift ihr Vater sie in die Wange und nimmt sie in den Arm.

„Ich frage mich, wieso ich überhaupt was sage, der Hund hat doch sowieso Narrenfreiheit.“ kommt es prompt aus der Küche, in die Fritz nun schwanzwedelnd rennt.

Eila folgt ihm mit ihrem Vater.

„Mein Schatz, schön dich zu sehen.“  Eila versinkt in der Umarmung ihrer Mutter.

„Hi Mom, dito. Euch scheint es ja allen gut zu gehen, was?“
„Ja, meine Schöne, so wie dir anscheinend.“ Franz dreht seine Tochter zu sich um und betrachtet sie eingehend. „Du siehst so glücklich aus. Gibt es etwas, das wir wissen sollten?“

Seit ihrer Scheidung hat Eila mit Männern nicht mehr viel am Hut. Nicht, dass sie sie grundsätzlich ablehnt, aber sie nimmt sich eine Auszeit, um sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Ihre Eltern scheinen jedoch nur darauf zu warten, dass Eila ihnen wieder erklärt, sie habe sich neu verliebt.

„Nein, Paps, keine Männer, nach wie vor. Mir geht es einfach so gut, ich muss mein glücklich sein doch nicht zwingend nicht von einem anderen Menschen abhängig machen.“ zwinkert sie.

„Ich mach mein Glück ganz gerne seit 35 Jahren von deiner Mutter abhängig.“ Franz nimmt seine Frau liebevoll in die Arme und drückt ihr ein Küsschen auf.

„Alter Charmeur.“ wehrt Hanna ab. „Setzt euch, wir können brunchen.“

Hanna hat wie immer reichlich aufgefahren, es gibt alles was das Herz begehrt und Eila nimmt reichlich, bis zur Platzgrenze und drüber hinaus.

Sie plaudern dabei herzlich und zwanglos, Eila fragt nach ihrer Schwester Kaja, die nach ihrer Schneiderlehre in England Design angefangen hat zu studieren und von der sie eine Weile nichts mehr gehört hat.

„Oh, Kaja hat eine kurze Email geschrieben, ich soll dich grüßen, ihr geht es ganz gut, sie ist nur ein bisschen im Stress wegen der bevorstehenden Prüfungen.“ erzählt Hanna. „In sechs Wochen ist das Semester rum und sie kommt heim.“

„Oh, super, wie lange bleibt sie?“ fragt Eila.

„Ich glaube, sie sagte was von zwei Wochen. Seid ihr fertig mit essen?“ Hanna steht auf und will den Tisch abräumen. Franz drückt seine Frau wieder auf den Stuhl zurück und Eila steht auf.

„Mom, du hast das Essen gemacht, Paps und ich sind fürs wegräumen zuständig.“

„Sehen wir dich dann auch mal wieder öfter, wenn deine Schwester uns mit ihrer Anwesenheit beehrt?“ stichelt der Vater und stapelt leere Teller zusammen.

„Klar, ihr zwei allein seid ja langweilig, aber wenn Kaja da ist, hab ich ja einen echten Grund.“ geschickt weicht Eila dem Fuß ihres Vaters aus, grinst und drückt ihrer Mutter einen schmatzenden Kuss auf den Scheitel, nimmt die Platten vom Tisch und beginnt, die übriggebliebenen Nahrungsmittel zu verpacken und in den Kühlschrank zu legen.

„Du bist ein freches Stück, von wem hast du das nur?“ meint Hanna lachend.

„Von mir nicht!“ wirft Franz sofort ein und grinst frech seine Frau an.

„Fritz und Franz werden jetzt erstmal eine schöne Runde drehen.“ gibt die Mutter zurück.

„Ui, wer geht mit wem Gassi?“ fragt Eila keck. „Ehrlich, Mom, dass du den Hund Fritz getauft hast, ist echt die Krönung.“

„Warum?“ fragt Hanna harmlos. „Passt doch super, Fritz und Franz, Franz und Fritz. Ruft sich auch prima.“

Eila lacht, Franz streckt Hanna die Zunge raus, schnappt sich die Leine vom Haken, pfeift seinem Gefährten, der unter dem Küchentisch schon ganz aufgeregt wedelt und verschwindet mit ihm durch den Garten.

Eila setzt sich zu ihrer Mutter an den Tisch und sie plaudern bis der Vater zurückkommt. Eila erzählt, dass sie in einer Woche Urlaub hat, die Mutter fragt, ob sie wegfährt. Eigentlich hatte sie zwei von ihren drei Wochen Urlaub spontan irgendwohin fliegen wollen, eventuell gemeinsam mit Lea, die ebenfalls zwei Wochen Urlaub hat, aber inzwischen möchte sie wegen Darius lieber zuhause bleiben, dort kann sie ungestörter mit ihm reden. Sie wiegelt gegenüber Hanna ab, und erklärt, das entscheide sie noch.

 

Am späten Nachmittag, nach Kaffee und Kuchen, fährt Eila gelöst und fröhlich nach Hause.

 

Daheim angekommen, ruft sie nach Darius.

Hallo, schönen Tag gehabt?

„Ja, war toll, meine Schwester kommt in sechs Wochen aus England nach Hause. Ich freu mich voll. Hab sie ein Jahr nicht gesehen. Als sie das letzte Mal hier war, war ich gerade mit Lea in Schottland unterwegs. Wir haben uns leider verpasst.“ erzählt Eila.

Ich weiß, du warst ziemlich enttäuscht darüber.

„Klar weißt du das. Wie konnte ich das nur vergessen?“ witzelt sie.

Tja, der Mensch wird im Alter eben vergesslich.

„Nur gut, dass du nie etwas vergisst.“ gibt Eila die Spitze zurück.

Aua. Das hat gesessen.

„Entschuldige, du weißt, so war es nicht gemeint.“

Schon klar. Du willst noch malen?

„Ja, hatte ich vor.“

Viel Spaß.

„Danke.“ Eila verschwindet im Schlafzimmer, um sich alte Klamotten anzuziehen und geht dann hinüber in ihr Arbeitszimmer. Dort nimmt sie sich die größte Leinwand, präpariert den Boden mit Folie und legt die Leinwand darauf. Heute hat sie Lust, großflächig „herumzusauen“ wie sie das selber nennt.

Großzügig verteilt sie Farben auf der bereits vorbehandelten Leinwand und verliert sich dann in Farben, Formen und Mustern.

Eila.

Darius reißt sie aus ihrer kreativen Phase. „Was ist?“ fragt sie unmutig.

Es ist spät.

„Na und?“

Eila!

„Was?“ entnervt stellt sie die Farbdose beiseite und schaut auf die Uhr, er ist kurz nach zehn, draußen ist es dunkel. „Was ist los mit dir? Ich gehe doch nicht um zehn ins Bett!“

Nicht um zehn, aber gleich. Geh duschen und dann ins Bett.

„Spinnst du eigentlich?“

Nein. Denk mal darüber nach.

„Ach lass mir doch die Ruhe.“ Eila schließt ihre Farben und schnappt sich die Pinsel, geht ins Bad und wäscht sie aus, anschließend duscht sie und legt sich ins Bett.

Kaum ist das Licht aus, erscheinen Darius´ Umrisse neben ihr.

„Was ist? Ich denke, ich soll schlafen?“ schießt sie ihm wütend zu.

Hör bitte auf, wütend auf mich zu sein, du weißt genau, dass ich das nicht grundlos gesagt habe.

„Dann erklär es mir.“ verlangt sie.

Wenn du morgen früh verschläfst und dann zur Arbeit hetzt, passiert ein Unfall aus Unachtsamkeit.

„Es passiert doch immer irgendwas, ich meine, ich will ja deine Arbeit nicht herabsetzen, aber ich stoße mir ja auch mal den Kopf, stolpere auf einer Treppe, verknackse mir beim Joggen den Knöchel, ich hatte als Kind einen Unfall mit dem Rad.“

Ja, das waren kleine Verletzungen.

Eila schaut ihn fragend an. Dann dämmert es ihr. „Du meinst, ein schlimmer Unfall…?“

Darius schweigt.

„Aber meine Zeit ist noch nicht gekommen?“

Nein.

Eila ist ganz benommen. „Danke.“ flüstert sie. „Wie soll ich jetzt nur schlafen?“

Tu es einfach. Denk an den Tag mit deinen Eltern.

Eila schließt die Augen, und spürt einen Hauch an ihrer Stirn, Darius hält seine Hand darüber – und allmählich fühlt sie sich ruhiger und findet dann doch Schlaf.

 

Am nächsten Morgen ist ihr mulmig zumute. Sie kriegt ihr Frühstück kaum runter und trödelt herum, traut sich nicht ins Auto zu steigen.

Eila, es ist alles in Ordnung, du kannst fahren, du kommst sicher dort an. Geh. Ich bin bei dir.

„Bist du sicher?“

Ja. Nun geh.

Und tatsächlich verläuft die Fahrt zur Arbeit reibungslos.

In ihrem Büro angekommen, schließt sie erleichtert die Tür. „Danke, Darius.“

Meine Aufgabe.

Zunächst fällt es ihr schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, aber mit der Zeit wird der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit durch die anfallenden Aufgaben in den Hintergrund gerückt und Eila findet wieder zu ihrem normalen Alltag zurück.

 

 

Abends kommt der Gedanke jedoch mit voller Wucht zurück.

Eila?

Sie liegt angezogen auf ihrem Bett und stiert Löcher in die Luft.

Hör auf darüber nachzudenken, was passiert wäre, wenn ich es dir nicht gesagt hätte, ich habe es dir gesagt und es ist nicht passiert.

Sie schweigt und versucht an nichts zu denken.

Eila, Himmelnocheins. Deine Zeit ist noch nicht gekommen.

„Was hättest du getan, wenn ich dich nicht hören würde?“

Dafür haben wir verschiedene Fähigkeiten.

„Was für welche?“ Eila steht auf und geht ins Bad, um sich zur Nacht zu richten.

Darius schweigt.

„Ich habe dich das schon einmal gefragt, du hast mir nicht geantwortet. Ich möchte jetzt eine Antwort!“ verlangt Eila. „Und es ist mir wirklich schnurzpiepegal, ob du mir das sagen darfst oder nicht. Wenn ich mit dir kommunizieren darf, dann muss man auch davon ausgehen, dass ich Fragen habe. Alles einfach immer nur hinzunehmen ist nun mal gegen die menschliche Natur – und erst recht gegen meine!“

Wenn ich könnte, würde ich mir wohl jetzt die Haare raufen.

„Sag es mir.“ fordert sie als sie aus dem Bad ins Schlafzimmer zurückkommt

Nun, ich könnte zum Beispiel die Glühbirne in deinem Arbeitszimmer kaputtgehen lassen, sodass du aufhörst zu malen.

„Und wenn ich eine neue einsetze?“ Eila legt sich ins Bett.

Könnte sie dir versehentlich herunterfallen.

„Und wenn ich eine andere nehme?“
Eila, im Ernst, du willst mir erzählen, dass du nicht entnervt aufgeben würdest,. wenn du bei zwei Birnen Pech hättest?

„Hm, guter Einwand vermutlich.“ Eila denkt nach. „Wie stellst du das an, dass die kaputtgehen? Ich meine, du kannst sie ja nicht manuell zerstören oder so.“ Sie löscht das Licht.

Gedanken.

„Du meinst, mentale Kraft, sowas wie … keine Ahnung… telekinese-ähnlich?“

Sowas in der Art.

„Das glaube ich nicht.“
Du willst es sehen, ich merke schon.

Eila rutscht die Decke vom Bett, gedankenverloren zieht sie sie wieder über sich und merkt, dass Darius lacht.

„Was….? Du hast mir jetzt nicht gerade die Decke weggezogen?“

Doch. Das Licht geht plötzlich wieder an.

„Darius!“ schreit sie erschrocken, „Das hat was vom Poltergeist!“ Das Licht geht wieder aus.

Entschuldige, du wolltest Beweise.

„Gruselig.“ sie dreht sich auf die Seite. Da kommt ihr ein Gedanke. „Du siehst aber auch die Zukunft, oder?“

Nein, nur ein kleines Stück und nicht immer – und auch nur das, was dich unmittelbar betrifft. Und auch nur dann, wenn deine Zeit noch nicht gekommen ist, sodass ich rechtzeitig eingreifen kann.

„Mit anderen Worten, sollte mir morgen ein Dachziegel auf den Kopf fallen und meine Zeit ist gekommen, dann siehst du das heute nicht?“

Nein, dann sehe ich es erst unmittelbar davor und kann nichts mehr tun.

„Übel. Dann kann ich dich also gar nicht fragen, wann meine Zeit abgelaufen ist.“ stellt Eila trocken fest.

So soll es auch sein.

„Ja, vermutlich ist das auch besser so.“

Sie liegen sich eine Weile schweigend gegenüber und Eila versucht, seine Gesichtszüge genauer zu erkennen.

„Komisch, dein Gesicht ist mehr wie eine Ahnung, aber deine Augen sind relativ gut erkennbar. Wo kommt dieser Lichtschein her?“

Mein Gesicht ist das, was du in mich projezierst, meine gesamte Hülle ist das, was du projezierst. Mein eigentliches Wesen, oder wie du es auch immer nennen willst, ist das Licht.

„Hm, ich projeziere deine Hülle?“
Ja.

„Hab ich gut gemacht.“ grinst Eila. „Bist gut gelungen.“

Darius lacht. Danke, du auch.

„Hui, ein Kompliment von meinem Beschützer, na wenn das nichts ist.“

Es ist nicht die Hülle, die zählt. Wie hast du kürzlich so schön gesagt: Die Verpackung sagt nichts über den Inhalt aus.

„Au weia, also ist meine Verpackung annehmlich, aber der Inhalt ist furchtbar?“

Nein, das meinte ich nicht.

„Sondern?“

Du hast vorhin gesagt, ich sei dir gelungen. Meine äußere Erscheinung ist von dir projeziert, jedoch das, was ich tatsächlich bin, das kommt nicht von dir, das kommt aus mir selber.

„Ich finde dich eigentlich rundum gelungen, nicht bloß deine Umrisse.“ meint Eila. „Ok, manchmal bist du nervtötend besserwisserisch, aber ich denke, das kann ich dir zugestehen, schließlich bist du offensichtlich urururalt und weißt so viel mehr.“ gibt sie zu. „Aber mögen muss ich das ja nicht.“ Eila lacht.

Du bist mindestens genauso nervtötend.

„Ich find mich klasse.“ grinst sie frech.

Das ist ja das schlimme.

„Hör auf mich zu piesacken, du Beschützer.“

Dann hör auf, mich zu reizen, du Schützling.

„Hast du eigentlich deine Art zu sprechen durch die Jahrhunderte – oder –tausende immer den angepasst?“

Das musste ich ja nur zweimal.

„Ach ja stimmt. Aber wie funktioniert das?“ will Eila wissen. „Wenn du nie sprichst, ich meine, im 13. Jahrhundert, du meine Güte, da haben wir uns doch wohl kaum so unterhalten wie jetzt oder?“
Nein, natürlich nicht, die Sprache hat sich enorm geändert. Ich höre ja die Menschen reden, wenn ich einen Schützling begleite – und ich denke, ich nehme auch einfach einen Teil deines persönlichen Sprachstils an, da ich dich ja bereits dein Leben lang begleite.

„Hmm, ja, ich denke, das macht Sinn.“ überlegt Eila und dreht sich auf die andere Seite, mit dem Rücken zu ihm.

„Kannst du…?“

Darius löffelt sich bereits hinter sie.

„Das ist schön.“ flüstert sie leise.

Ja.

Warum schläfst du nicht?

„Ich kann nicht einschlafen.“ erklärt Eila.

Das sehe ich. Soll ich dir helfen?
„Nein.“ Eila dreht den Kopf in seine Richtung, „Du hast mir gestern geholfen, oder?“

Ja, ich dachte, es sei nötig.

„War es auch. Aber jetzt nicht. Ich hab das Gefühl, ich spüre dich deutlich hinter mir liegen.“ Sie konzentriert sie auf Darius und das Gefühl wird immer stärker. „Bilde ich mir das nur ein?“

Ich glaube nicht, ich nehme dich auch viel deutlicher wahr.

„Ist schön irgendwie.“ Eila seufzt. „Aber auch ziemlich befremdlich.“

Darius schweigt.

„Hab ich was falsches gesagt?“

Nein.

„Warum ist das auf einmal so deutlich?“

Ich weiß es nicht. Vielleicht weil die Verbindung intensiver…. Darius unterbricht sich selbst.

Eila wartet, aber er schweigt sich aus.

Schließlich dreht sie sich zu ihm um und liegt nun eine Handbreit von ihm entfernt.

„Wahnsinn. Ich hab das Gefühl, ich muss nur die Hand ausstrecken und kann dich anfassen, es ist als würde ein menschlicher Körper neben mir liegen, die Wärme…“ Eila streckt die Hand aus und formt sie an seine silhoutettenhafte Wange. „Das ist unglaublich.“ flüstert sie mit großen Augen. „So nah und gleichzeitig so weit weg.“

Darius studiert die Verwunderung auf ihrem Gesicht. Wärme fließt durch die Verbindung zwischen Hand und Hülle. Minutenlang starren sie sich stumm an und registrieren den gegenseitigen Austausch. Eilas Augen weiten sich vor Erstaunen.

Plötzlich ist seine Hülle verschwunden, die Verbindung unterbrochen.

„Darius?“ ruft Eila erschrocken.

Entschuldige.

„Was ist los?“

Ich war einen Moment lang unkonzentriert.

„Zeigst du dich bitte wieder?“ Seine Umrisse erscheinen am Fußende. „Was machst du da unten? Kommst du nicht wieder her?“ fragt sie.

Besser nicht.

„Bitte.“

Er platziert sich neben sie, sodass sein umrissartiger Oberkörper am Kopfteil zu lehnen scheint.

Gut so?

„Nein. Aber egal jetzt. Warum hast du das eben unterbrochen?“
Ich sage doch, ich war einen Moment lang unkonzentriert.

„Entschuldige, aber ich glaube nicht, dass ein Beschützer sich Unkonzentriertheit leisten kann. Kannst du überhaupt unkonzentriert sein? Ich glaub, du hast das mit Absicht getan. Warum?“

Eila, ich…

„Nee, ich will jetzt keine blöden Ausflüchte. Das eben war der totale Wahnsinn, ich hatte das Gefühl, mich in dir zu sehen, oder dich in mir oder … ich weiß auch nicht. Da war so viel auf einmal.“ Eila fährt sich durch die Haare. „Was war das?“

Ich werde dich auf die Palme bringen mit meiner Antwort, aber ich sage es trotzdem: sag du es mir.

„Ok, da du meine Gedanken sowieso lesen kannst, wenn du das willst, kann ich es auch genausogut laut aussprechen. Wenn du ein Mensch wärst, würde ich fast sagen, es fühlt sich an wie …“ Eila stockt.

Wie…?

„… verliebt?“ murmelt sie leise.

Du oder ich? fragt Darius flüsternd in ihrem Kopf.

„Beide!“

Schweigen. Eila starrt die gegenüberliegende Wand an und hängt ihren Gedanken nach.

Nach einer Weile dreht sie sich zu ihm und fragt: „Geht das überhaupt? Ich meine, bei dir?“

Er schaut sie nur an.

„Hab ich mich getäuscht?“

Darius schüttelt fast unmerklich den Kopf.

„Aber wie…?“ Eila grübelt und grübelt.

Ich habe dir gesagt, ich kenne Gefühle, eigene, nicht nur die meines Schützlings.

„Das heißt, das kommt tatsächlich aus dir selbst?“

Ja.

„Aber wie kann das sein?“

Wie kann es bei dir sein?

 

Eila wird auf einmal von einer Vision überrollt.

 

„Oh mein Gott.“ flüstert sie, ihre Stimme versagt fast. „Das ist nicht das erste Mal.“

Nein.

„Damals war es auch so.“ Eilas Stimme ist nur noch ein leiser Hauch, sie dreht sich auf den Rücken und versucht ihre Vision zu vertiefen.

Das ist die Antwort, Eila.

„Aber du bist nicht menschlich.“ flüstert sie. „Oh…. oh, ich verstehe. Daher dieser Schmerz. Es ist nicht nur der Schmerz des Verlusts, der Schmerz über meinen Tod damals. Es ist der Schmerz, dass nicht sein konnte, was zwischen uns war. Es war unmöglich.“ Eila wendet sich wieder ihm zu. „Es ist unmöglich, Darius.“ flüstert sie, der Schmerz überrollt sie und Tränen laufen ihr über das Gesicht. „Es tat so weh, dich nicht berühren zu können, dich nicht in den Arm nehmen zu dürfen.“

Es tut immer noch weh. Oder wieder.

„Oh Gott, was passiert nun?“ Eila hat Angst. „Bin ich deswegen verbrannt worden?“
Nein, du wurdest damals als Hexe gebrandmarkt und angeklagt, weil du Fähigkeiten hattest, die angeblich vom Teufel auf dich übertragen wurden. Du hast zwar den Menschen geholfen, aber sie konnten es nicht verstehen. Und alles, was man damals nicht verstand, war Teufelszeug. Dein Schmerz ist der, dass wir niemals eine Chance hatten. Mein Schmerz, den du spürst, ist verstärkt dadurch, dass ich dich verloren habe. Ich habe etwas verloren, das nie mir gehören konnte.

„Du weißt es wieder! Du erinnerst dich?“

Ja, durch deine Vision ist bei mir wieder alles da. Die Erinnerung und der Schmerz.

„Warum habe ich diese Vision jetzt? Warum nicht als ich es mit Lea versuchte?“

Weil du gerade erkannt hast, was zwischen uns ist. Und somit auch das, was zwischen uns war.

„Und du wusstest das bevor ich es erkannt habe?“

Nein, ich hatte eine Ahnung von mir selber, bei dir war es viel zu tief vergraben. Ich hab es gewusst, in dem Moment, als es dir klar wurde.

„Und aus dem Grund warst du dann plötzlich weg.“ stellt Eila fest.

Ja.

„Was wird jetzt passieren mit uns?“

Nichts. Es gibt nichts, das wir tun können, Eila. Es ist wie es ist.

„Aber da hat doch sicher irgendwer, irgendwas etwas dagegen!“

Es ist nichts, das meine Aufgabe beeinträchtigen könnte. Es ist nichts, was wir ausleben können.

Eila erkennt die Wahrheit in Darius´ Worten und der Schmerz durchfließt sie erneut, sie spürt seinen Schmerz dazu, es raubt ihr fast den Atem.

„Ich kann nicht mehr denken, ich kann kaum noch atmen, Darius.“
Bitte versuch zu schlafen.

„Ich kann nicht, ich bin viel zu aufgewühlt.“ Eila dreht sich auf den Rücken und starrt an die Decke. Sie spürt seine Hand auf ihrer, während sich bleierne Müdigkeit über sie herabsenkt.

„Lass das.“ bittet sie Darius.

Du brauchst Schlaf.

„Ich liebe dich.“ murmelt sie noch bevor sie in tiefen traumlosen Schlaf sinkt. Sie bekommt nicht mehr mit, dass ihre Worte Darius´ Schmerz vervielfachen.

Ich liebe dich flüstert er so leise in ihrem Kopf, dass sie es nicht mehr mitbekommt.

 

 

 

VII.

In dieser Woche versuchen Darius und Eila die Tatsache zu ignorieren, dass sie ihre wiederentdeckte Liebe nicht ausleben können. Morgens schaut er Eila beim Frühstück zu bevor sie sich zur Arbeit verabschiedet.

Wenn Eila abends von der Arbeit kommt, leistet Darius ihr beim Essen Gesellschaft, sie schauen zusammen fern oder reden bis tief in die Nacht hinein. Sie schläft jede Nacht neben ihm ein, er hält seine Hand über der ihren und sie genießen diesen mininmalen Austausch an fast-körperlicher Nähe.

Doch jeden Tag fühlt sich Eila schlechter, jeder Tag wird schwerer als der vorherige, jeden Tag wird die Sehnsucht größer, Darius wirklich berühren zu können.

Und Darius spürt den Schmerz und die Sehnsucht doppelt, seine und ihre. Er nimmt ihre Trauer wahr und hält es schließlich nicht mehr aus.

 

Am Samstag vor ihren Ferien teilt Darius Eila seine Entscheidung mit.

Sie sitzt an ihrer Staffelei und malt.

Eila, ich muss mit dir reden.

„Ja, warte, gleich.“

Nein, jetzt, Eila, es ist mir ernst.

Erstaunt dreht sie sich nach ihm um und schaut ihn fragend an. „Was gibt es denn?“

Seit einer Woche sehe ich dir zu wie du leidest, ich spüre deine Sehnsucht, deinen Schmerz. Ich ertrage es nicht, dich so zu sehen, Eila, du musst mich vergessen. Das, was zwischen uns ist, tut dir nicht gut, es zerstört dein Leben. Und das kann und will ich nicht verantworten, ich bin dein Beschützer – und momentan habe ich eher das Gefühl ich zerstöre mehr als ich beschütze.

„Was soll das bedeuten?“ flüstert Eila ahnungsvoll. „Was hast du vor?“

Ich werde mich wieder zurückziehen, Eila, so wie es war bevor du mich hören und sehen konntest. Du sollst mich vergessen und leben. Du sollst jemanden finden, der dir wirklich ein Partner sein kann.

„Ich will niemanden außer dir.“ Eila steht auf und geht auf ihn zu. „Das kannst du nicht machen, Darius.“

Eila, bitte, es ist besser für dich. Ich bin nicht gut für dich. Das ist nicht richtig.

„Es interessiert mich nicht, was richtig ist, Darius, bitte. Tu das nicht.“ weint Eila.

Ruf mich nicht, ich werde nicht reagieren. Vergiss mich. Ich liebe dich, Eila, immer. Seine Hülle verblasst.

„Darius!“ ruft  Eila und sinkt schluchzend zu Boden. „Darius, bitte nicht.“ Sie bleibt wie betäubt liegen.

 

Das Telefon und auch ihr Handy klingeln mehrmals, Eila hört es wie durch eine Wand, sie kann sich nicht rühren.

Am frühen Abend hat sie sich leer und kraftlos geweint, aber noch immer schneidet ihr der Schmerz die Kehle zu.

Sie schleppt sich mühsam zu ihrem Bett, auf dem sie zusammengerollt niedersinkt. Irgendwann kommt der gnädige Schlaf.

 

„Eila?“

Sie träumt von Darius. Ruft er?

„Eila, verflucht nochmal, wach auf. Was ist eigentlich los mit dir? Ich versuche dich seit Stunden zu erreichen.“

Unsanft wird sie gerüttelt.

„Darius.“ murmelt sie leise.

„Was Darius? Ich bins, Lea.“

„Lea?“ Tränen rinnen über Eilas Gesicht.

„Um Gottes Willen, Maus, was ist passiert?“ Lea richtet ihre Freundin auf und nimmt sie in den Arm. „Sag mir bitte, was los ist, Eila, ich bitte dich!“

Eila schüttelt schluchzend den Kopf.

„Gut, wein dich aus, meine Maus, ich bin da. Lass es raus.“

 

Eine Stunde später erzählt Eila ihrer Freundin alles. Es kümmert sie nicht mehr, ob sie es darf oder nicht.

Lea ist fassungslos. „Das klingt unglaublich.“
„Es tut unglaublich weh.“ erklärt Eila. „Ich fühle mich so tot und so leer und gleichzeitig ist so viel Schmerz in mir. Ich habe keine Kraft.“ murmelt sie müde.

Lea bettet sie zurück auf das Kissen.

„Schlaf ein bisschen, ich bleibe bei dir.“

 

Eila schläft wie eine Tote. Sie träumt nicht mehr.

Am nächsten Tag holt Lea einige Sachen aus ihrer Wohnung, sodass sie bei Eila bleiben kann. Sie richtet sich im Gästezimmer ein. Lea  macht sich große Sorgen um die Freundin, die größtenteils schläft – und in der wachen Zeit meistens weint. Sie isst kaum, Lea ist froh, wenn sie ihr gezuckerte Getränke verabreichen kann.

Nach drei Tagen zwingt Lea Eila in die Badewanne, sie wirkt wie ferngesteuert, vollkommen gleichgültig.

Am folgenden Sonntagabend hat Lea die Nase voll und hält ihrer Freundin eine Standpauke, in der Hoffnung, sie so wieder unter die Lebenden zu kriegen. Eila sitzt nur in ihrem Bett, lässt alles über sich ergehen und zeigt keinerlei Reaktion.

„Verdammt nochmal, Eila, du musst in zwei Wochen wieder arbeiten, wie soll das denn weitergehen?“

Eila zuckt müde mit den Schultern.

„Ich kann nicht ewig blieben, Maus.“
„Ich weiß.“ erwidert Eila mühsam. „Es ist ok, wenn du gehst, danke für alles.“

Lea schnauft. „Ich habe dich noch nicht aufgegeben, meine Gute.“

„Aber ich.“ murmelt Eila leise und lässt sich zurück aufs Kissen sinken. „Und es ist mir egal.“

Lea rauft sich verzweifelt die Haare und stapft aus dem Zimmer. Kurz darauf stapft sie wieder zurück.

„Ok, Maus, ich sage dir jetzt etwas und das meine ich wirklich verdammt ernst. Du hast noch eine Woche. Wenn dann keinerlei Besserung eintritt, dann lasse ich dich in eine Klinik einweisen. Vielleicht brauchst du dann wirklich professionelle Hilfe.“

Und damit stapft Lea wieder aus dem Zimmer.

Eila zuckt mit den Schultern und sinkt wieder in bleiernen Schlaf.

In dieser Nacht träumt sie zum ersten Mal wieder seit Darius gegangen ist. Sie träumt von ihm. Wie in den folgenden zwei Nächten auch.

In der Nacht zum Donnerstag wacht sie weinend auf und liegt schlaflos im Bett.

„Darius, ich kann nicht mehr.“ sagt sie in das dunkle Schlafzimmer.

Sie konzentriert sich auf ihn. Und plötzlich spürt sie ihn wieder. Sie hält den Atem an.

Eila …

„Darius?“ flüstert sie.

Eila, es tut mir leid.

Sie schluchzt leise. Es tut so unendlich gut, ihn wieder zu hören.

Ich dachte, es wäre besser, wenn ich verschwinde. Aber du siehst schrecklich aus. Dir geht es so schlecht, es zerreißt mich.

Seine Umrisse erscheinen neben Eila auf dem Bett. Sein Blick ist besorgt.

Tränen rinnen in Sturzbächen über ihr Gesicht.

Ich wollte dir nicht weh tun, Eila, bitte.

Sie nickt. „Wirst du wieder verschwinden?“

Ich kann es nicht. Ich dachte, ich könnte es, aber ich kann dich nicht so sehen. Und ich kann nicht existieren ohne mit dir zu reden. Es tut so weh.

Eila lächelt und dreht sich auf die Seite, Darius löffelt sich hinter sie.

Während die Tränen langsam trocknen, ebbt der Schmerz ab und sie nimmt ihn immer deutlicher wahr.

Sie lässt sich so vollkommen in diese Wahrnehmung fallen, dass sie bald das Gefühl hat, ihn als Körper an ihrem Rücken zu spüren. Sie fühlt sich wie in Trance, die Leere in ihrem Körper verschwindet.

„Oh. OH!“

„Was ist?“ murmelt Eila.

„Eila… ähm, ich habe keine Antwort.“

„Fängst du schon wieder….“ der Satz bleibt ihr Hals stecken. Keuchend dreht sie sich langsam um. „Du SPRICHST mit mir! Laut!“ Entgeistert starrt sie ihn an. „Was zum Himmel…..?“

„Was ist passiert? Wie ist das passiert?“ Darius räuspert sich und starrt genauso entgeistert zurück.

Vorsichtig berührt Eila seine Hand. Sie ist real. Fest und warm.

 

 

Epilog

Darius wurde zum Mensch für die Dauer von Eilas Leben. Er war noch immer ihr Beschützer und hatte weiterhin besondere Fähigkeiten.

Sie entstammten einer Seele und fanden nach Eilas Tod in der Ewigkeit für immer zusammen.

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©Katja Heinrich