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IV.

Zwei Tage später – zwei Tage, in denen Eila krampfhaft versucht hat, sich von Darius abzulenken, ihn nicht mit Fragen zu bombardieren, ihn möglichst zu ignorieren, ja geradezu die Tatsache zu vergessen, dass das alles passiert ist, zwei Tage, in denen er sich ebenfalls komplett still verhalten hat, sodass sie seine Präsenz kaum spüren konnte – hat sie sich abends mal wieder mit Lea verabredet.

Lea hat sie zum Essen bei sich eingeladen und Eila freut sich auf ein paar nette Stündchen mit ihr, fühlt sich nahezu gewappnet, ihr dieses Mal konzentriert entgegen zu treten.

„Hallo Maus,“ begrüßt Lea sie mit einer liebevollen Umarmung, „wie geht es dir?“

„Oh gut, danke, die Arbeit fließt momentan ganz gut und ansonsten geht es mir auch recht gut soweit. Und bei dir?“ Eila drückt der Freundin einen Kuss auf die Wange, zieht Jacke und Schuhe aus und folgt ihr in die Küche, aus der es schon fantastisch duftet.

„Alles paletti bei mir. Mika ist zwar derzeit auf Reisen und ich vermisse ihn etwas, aber in drei Tagen ist er wohl zurück und dann feiern wir unser dreijähriges.“ grinst sie verschmitzt.

Mika, Leas Freund, ist Reisejournalist und somit beruflich viel unterwegs.

„Mikas Reisen machen eure Beziehung doch erst richtig spannend, auch wenn die dauernden Trennungen sicher nicht angenehm sind, das Wiedersehen ist doch umso schöner, was?“ Eila lacht ihrer Freundin frech ins Gesicht.

„Ich weiß nicht, was du meinst.“ Lea schaut ganz harmlos und bekommt dafür einen Schubser.

„Lassen wir das, komm, hilf mir mal eben, das Essen auf den Tisch zu bringen.“ treibt Lea an.

„Au ja, her damit, ich hab Hunger für drei.“ freut sich Eila, „Was gibt es denn?“ Neugierig schaut sie in die Schüsseln.

„Ich hab mal chinesisch ausprobiert.“

„Oh klasse, ich bin gespannt.“

Gemeinsam tragen die Freundinnen das Essen zum Tisch und widmen sich den kulinarischen Ergebnissen von Leas gelungenemVersuch.

Nach einer Weile schweigendem Genießens meint Lea: „Du, sag mal, was ich dich schon die ganze Zeit fragen wollte, hast du eigentlich mal wieder was von dieser Präsenz bemerkt?“

Eila verschluckt sich fast an ihrem Essen, hustet und schindet damit Zeit.

„Ja, ist seltsam, ich hab öfter mal das Gefühl, dass da jemand ist.“ antwortet sie langsam und überlegt.

„Darius?“ fragt Lea.

„Ich glaube schon.“ nickt Eila, „Es ist wirklich wie ein Schutzengel oder so. Ein gutes Gefühl irgendwie, er gibt mir Sicherheit.“

„Irre. Dann wird das wohl so sein. Ich frage mich nur, warum ich ihn an dem Abend auch gespürt habe.“
„Hm, vielleicht deshalb, weil wir eine Verbindung zueinander haben, du und ich?“ überlegt Eila laut.

„Tja, möglich, aber ist er nicht öfter in deiner Nähe? Müsste ich ihn dann nicht auch bemerken?“
„Oh, frag mich doch sowas nicht,“ lacht Eila, „als hätte ich Ahnung davon.“

„Ich überleg ja bloß laut.“ rechtfertigt sich Lea.

„Ach sei still, das Ganze ist verworren genug.“ wehrt Eila immer noch lachend ab. „Ich bin pappesatt, es war superlecker.“ lenkt sie dann vom Thema ab.

„Ja, das ist mir gelungen, bin selber zufrieden.“ Lea steht auf und stapelt die leeren Teller, Eila folgt ihr mit den Schüsseln in die Küche, zusammen machen sie dort etwas Ordnung und setzen sich dann noch zum Plaudern ins Wohnzimmer.

Gott sei Dank kommt Lea nicht mehr auf Darius zu sprechen und so kann Eila den Abend tatsächlich recht entspannt genießen.

 

Auf dem Heimweg grübelt sie dann aber über ihre Reaktion nach und spürt deutlich Darius´ Präsenz neben sich.

„Ich weiß, dass du da bist.“

Entschuldige, ich will dich nicht nerven.

„Tust du nicht.“

Das war nicht einfach und es tut mir leid, ich wollte nur, dass du das weißt.

„War das denn ok so?“

Ja, vollkommen. Ihr habt mich ja zusammen „entdeckt“ – es war klar, dass Lea irgendwann nochmal nachfragen würde.

„Was wäre passiert, wenn ich ihr alles gesagt hätte?“ möchte Eila wissen.

Hast du aber nicht – und hättest du auch nicht, du respektierst eben die höhere Macht. Ich denke, deswegen darfst du mich auch sehen und hören.

„Hmm. Seltsam.“ findet sie.

Du hast nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, ihr alles zu erzählen, Eila, ich hab es gespürt.

„Nein, und ich frage mich wieso. Es war wie ein Reflex.“

Du hast geschützt, was dir gegeben wurde.

„Möglich.“ antwortet sie leise. „Du hast mir gefehlt.“

Danke, gleichfalls kommt es lachend zurück.

 

 

Am nächsten Morgen hat Eila unglaublich gute Laune, sie springt aus dem Bett, ruft ein fröhliches „Guten Morgen, Darius“ in ihre scheinbar leere Wohnung, zieht sich an und fährt leise vor sich hinsummend zur Arbeit.

 

Auch in den nächsten Tagen ist sie wie beschwingt, alles läuft ihr wie selbstverständlich von der Hand, sie hat penetrant gute Laune und steckt damit sämtliche Kollegen an.

Sie ist voller Tatendrang, geht abends öfter joggen, trifft sich mit Lea und anderen Bekannten.

 

Ab und zu hält hält sie morgens oder abends einen kurzen Schwatz mit Darius, was ihr inzwischen schon fast normal vorkommt und sie versucht, nicht weiter darüber nachzudenken, warum das alles passiert und wie das sein kann. Darius hält sich jedoch zurück, kommt nur, wenn sie ihn direkt anspricht.

 

 

Drei Wochen später kommt allerdings die für Eila typische Grübelei wieder über sie geschwappt und sie beginnt zunehmend, alles zu hinterfragen.

Weil sie ihn aber nicht direkt anspricht oder ruft, hält Darius sich weiterhin zurück.

Es ist Freitagabend. Eila wollte sich einen gemütlichen Fernsehabend machen, aber sie ist volkommen unruhig und kommt nicht dahinter, was der Grund dafür ist.

Sie versucht sich mit einem entspannenden Bad zu beruhigen und mit einem Buch abzulenken.

Irgendwann steigt sie entnervt aus der Wanne, nichts scheint sie heute abzulenken, den ganzen Tag hat sie schon diese Unruhe in sich.

Sie kuschelt sich in ihr Bett und nimmt ihr Buch zur Hand.

Was ist los mit dir, Eila?

„Ich weiß es nicht. Ich bin so unruhig und komme nicht dahinter, warum das so ist. Es macht mich verrückt.“ Sie legt ihr Buch auf den Nachttisch, dreht sich zur Seite und sieht ihn neben sich liegen, den Rücken gegen die Wand gelehnt, die Beine lässig übereinandergekreuzt.

„Wenn du nicht so durchscheinend wärst, könnte man glatt annehmen, du bist ein Mensch, so wie du da lässig rumliegst.“ lacht sie.

Abgeguckt. Ich weiß nicht mal, wie es sich anfühlen würde, so zu liegen. Er dreht sich leicht, so dass er ihr zugewandt liegt.

„Schön, dass du da bist. Ja, ich weiß, du bist immer da, aber….“

Verstehe schon. Ich hab deine Unruhe so deutlich gespürt, dass ich einfach nachfragen musste, zumal ich nicht lesen kann, was dich so nervös macht. Es muss tiefer in dir liegen.

„Ziemlich tief, ich komme nicht ran.“ Eila knautscht sich ihr Kissen zurecht, sodass sie nun in Augenhöhe nebeneinander liegen. „Das heißt, du kannst eigentlich nur sehen, was mir selber auch bewusst ist?“

Darius nickt.

„Es ist so seltsam, ich spüre deine Anwesenheit, aber es ist anders, als wenn ich einen Menschen neben mir spüre.“

Darius schweigt.

„Was ist?“

Nichts. Erzähl mir von deinem Tag.

„Was soll ich erzählen, du weißt doch alles.“

Na und? Vielleicht beruhigt es dich. Außerdem versuche ich nicht dauernd deine Gedanken im einzelnen zu lesen.

„Warum?“ Eila ist verwirrt.

Weil ich weiß, dass dich das irritiert.

„Ist das nicht mühsam? Kannst du mich da noch beschützen?“

Das ist meine Aufgabe, dafür bin ich da und das hat oberste Priorität. Ich weiß nur das, was ich wissen muss dafür.

„Das ist so …. kompliziert und nicht vorstellbar für mich.“ meint Eila.

Ich weiß. Du musst auch nicht immer alles begreifen.

„Jaja, schon gut, das hast du mir schon gesagt. Es ist nun mal meine Natur, immer alles begreifen und erklären und wissen zu wollen.“

Loslassen und Geduld, Eila.

„Meine zwei Themen, ja. Ich bemühe mich. Du versuchst also nicht mehr all meine Gedanken zu lesen, damit ich besser damit zurecht komme?“

Zum einen.

„Und zum anderen?“

Wolltest du mir nicht von deinem Tag erzählen?

„Erzähl du mir deinen. Oder noch besser, erzähl mir, was in dir vorgeht. Das, was ich nicht von dir weiß.“

Was soll ich denn erzählen? Meine Gedanken kreisen um dich, dein Leben, deinen Schutz, dafür bin ich da, das ist meine Aufgabe.

„Hm. Das ist ziemlich wenig.“

Auf ein Leben zu achten ist niemals wenig.

„Ist das nicht langweilig immer nur auf einen Menschen gerichtet zu sein? Hast du niemals das Gefühl, irgendwas zu wollen, das du nicht sein oder haben kannst?“
Wie meinst du das?

„Naja, wenn ich mir vorstelle, ich würde einen Menschen sein Leben lang begleiten, sehen, wie er lebt, was er erlebt, was er fühlen kann und was er ist, wie er seinen Alltag gestaltet, lernt, sich entwickelt, wenn er zum Beispiel sein Essen genießt, hast du nie das Gefühl, dass dir da was entgeht?“

Nun, bisher nicht.

„Denkst du nie darüber nach, wie es ist zu fühlen, zu schmecken, zu riechen?“

Ich fühle, und ich rieche.

„Du fühlst?“

Ja, ich meine, ich habe Gefühle, ich habe Sorgen, ich kenne Kummer, ich leide, wenn mein Schützling leidet, ich kenne Freude und Stolz und Dankbarkeit.

„Aber diese Gefühle werden vom Schützling auf dich übertragen.“
In gewisser Weise.

„Aber eigene Gefühle kennst du nicht?“

Begrenzt.

„Was heißt das?“

Du bist wieder ziemlich neugierig, Eila.

„Ja.“

Darius schweigt.

„Was heißt begrenzt, Darius?“

Er zögert.

„Ok, lassen wir das. Du hast vorhin gesagt, du hast bisher nicht das Gefühl gehabt, dass dir was entgeht. Was meinst du damit, bisher nicht?“

Du bist ziemlich penetrant heute.

Eila seufzt.

Ich kann dir einfach nicht auf alles antworten, versteh das doch bitte.

Sie dreht sich auf die andere Seite.

Sauer?

„Nein, sicher nicht. Kannst du dich hinter mich legen? So wie beim ersten Mal?“ Darius löffelt sich hinter Eila und sofort spürt sie Sicherheit und Geborgenheit, endlich findet sie Ruhe.

Schlaf gut.

 

Eila, wach auf.

Darius´ Stimme weckt sie. „Was ist los?“ fragt sie verschlafen.

Zieh den Stecker vom Fernseher, sonst schmort das Kabel durch.

„Wie bitte?“

Dein Fernseher spinnt. Zieh den Stecker raus, sonst brennt es. Entsorg ihn morgen.

Eila steht auf, geht ins Wohnzimmer und zieht den Stecker. Kopfschüttelnd kommt sie wieder zurück. „Ist das jetzt dein Ernst? Wie hättest du das gemacht, wenn …?“

Es gibt immer einen Weg, den Schützling zu retten, wenn seine Zeit noch nicht gekommen ist.

„Weißt du, wann meine Zeit gekommen ist?“ Eila kuschelt sich zurück ins Bett.

Nicht im voraus.

„Was heißt das?“

Wenn deine Zeit gekommen ist, kann ich nichts mehr tun, dann gibt es keine Möglichkeit.

„Wie ist das für dich, einen Schützling zu verlieren?“

Manchmal schlimmer, manchmal weniger schlimm. Kommt auf die Zeit, die Umstände und die Erfahrungen mit ihm an. Ich habe ja auch eine Verbindung zu jedem Schützling, also auch auf gewisse Weise Gefühle für ihn. Es ist leichter, einen Schützling zu verlieren, der sein Leben gelebt hat, als einen, der noch eigentlich viel Leben vor sich hätte.

„Stelle ich mich schwer vor, dann loszulassen.“
Ist es auch.

Eila schweigt und hängt ihren Gedanken nach, sie fragt sich, ob es ihm wohl schwerer fällt, wenn er sie verliert.

Ja kommt eine leise Antwort auf die unausgesprochene Frage. Das wird das schwerste überhaupt, denn zu dir habe ich ja als einzige diese besondere Art der Verbindung.

Eila spürt Traurigkeit, die nicht von ihr kommt.

Darius schaut sie erstaunt an.

Was war das?

„Ich habe keine Ahnung? Kommt das von dir?“

Du spürst mich? Du spürst meine Traurigkeit?

„Scheint so. Kann das sein? Du merkst, dass ich etwas spüre, das nicht von mir kommt?“

Ja. Aber wie…?

„Tja, wer kann das nun beantworten?“

Eila hebt die Hand und legt sie an Darius´ silhouettenhaftes Gesicht. Er zuckt zurück und ihre Hand bleibt für einen Moment in der Schwebe.

„Lass mich das versuchen.“ bittet sie und legt erneut die Hand an seine Wange.

Sie schließt die Augen und konzentriert sich, auf den Hauch einer Ahnung seines „Körpers“.

Als sie etwas auf ihrer Hand wahrnimt, öffnet sie erstaunt die Augen, Darius hat seine Hand über ihre gelegt.

Wow.

„Wow.“

Ich kann dich fühlen, es ist zwar mehr wie ein Hauch, aber es ist da.

„Ja, da ist etwas.“

Plötzlich hat Eila eine Vision. Erschrocken zieht sie ihre Hand zurück und schaut ihn mit großen Augen an. „Du warst schon einmal mein Beschützer. Nicht in einem der Leben, die ich schon kenne. In irgendeinem anderen Leben.“ strömt es aus ihr heraus. „Und wir hatten auch damals kommuniziert, Darius, stimmt das?“
Ja.

„Ich sehe nichts, ich weiß es nur. Es ist wie eine Erinnerung an dich ohne die Umstände zu kennen.“

Er schweigt und wartet.

Eila versucht mehr zu sehen, aber sie spürt nur Schmerz, ihren und seinen.

„Was war da? Darius? Sag es mir, erzähl mir davon, bitte.“

Das darf ich nicht. Du hast diese Gabe, du musst es von alleine erkennen.

„Warum tut die Erinnerung uns beiden weh? Oder was tut weh?“

Die Antwort liegt in dir, Eila, ich kann dir nichts dazu sagen.

Erneut legt sie ihre Hand an seine Wange.

„Du hast dich daran erinnert als ich dich eben berührte, oder?“

Statt einer Antwort legt er seine Hand über ihre und schließt die Augen.

Eila konzentriert sich auf ihn und spürt eine Welle von Schmerz und Trauer in sich.

„Ich hatte schon immer irgendwelche Gaben, in jedem einzelnen Leben, nicht wahr? In manchen war ich zu jung um sie zu erkennen und auszuleben, manchmal starb ich zu jung. Aber nicht in diesem einen Leben, in dem ich dich als Beschützer hatte.“

Eila stockt. Dann kommt das Wissen mit aller Macht über sie.

„Du warst in jedem Leben mein Beschützer. Aber nicht in jedem Leben wusste ich von dir. Nur im jetzigen und in diesem einen. Darius….“

Sie öffnet die Augen, er schaut sie entgeistert an.

Wie kannst du das wissen?

„Darius, was ist passiert damals? Verdammt, ich sehe es nicht!“ verärgert zieht Eila die Hand zurück und setzt sich auf.

Eila, du weißt viel zu viel. Bestürzt richtet auch Darius seine Hülle auf. Ich verstehe nicht…. du bist unglaublich. Es gibt Regeln, aber du brichst sie fast alle mit deiner Gabe. Deine Empathie ist weitreichender als ich angenommen habe.

„Wie meinst du das?“

Du bist gefährlich nah dran, in mich einzutauchen. Ich weiß nicht, ob das gestattet ist, ich weiß nicht einmal, wieso das überhaupt geht.

„In dich einzutauchen?“

Durch die Berührung scheinst du in meine Erinnerung zu kommen, die die deine auslöst. Das heißt, durch meine Erinnerung an damals, konntest du dich daran erinnern.

„Dann scheint unsere Verbindung weit tiefer zu gehen als gedacht, oder wie soll ich das verstehen?“

Ich begreife es selber nicht.

„Aber ich sehe nichts konkretes, es ist nur der Schmerz da. Und das Wissen um ein weiteres Leben, mehr nicht. Ich weiß nicht, wer oder was ich war, ich weiß nicht, was ich getan habe, das solch einen Schmerz rechtfertigt. Ich sehe verdammt nochmal nichts.“ erzürnt springt Eila aus dem Bett und stapft im Zimmer umher.

Du hast doch zuerst immer nur eine Ahnung, Eila, warte ab. Es kommt sicher noch zu dir.

„Ich brauche Lea, sie muss mit mir zurückgehen, ich brauche sie dazu, Darius, ich muss ihr ja nicht erzählen, um was es genau geht. Ich brauche sie.“

Tu, was du nicht lassen kannst, aber jetzt schlaf.

Statt einer Antwort stapft Eila zum Telefon und ruft Lea an, die sich etwas verschlafen meldet.

„Lea, ich brauche dich.“

„Maus, was ist passiert?“ kommt es erschrocken und hellwach zurück.

„Ich brauche dich, jetzt, ohne Fragen, ich brauche deine Hilfe, ich muss etwas herausfinden, das mir keine Ruhe lässt. Kannst du kommen?“ fragt Eila hektisch.

„Bin in 15 Minuten bei dir.“ Es klickt in der Leitung.

Das ist Freundschaft.

„Ja, das ist Freundschaft!“ bestätigt Eila. „Bitte, tu mir den Gefallen und mach dich klein jetzt, ich muss das jetzt versuchen zu ergründen und ich weiß, du darfst mir nicht helfen.“

Wie du willst.

„Danke.“

Keine 15 Minuten später steht Lea atemlos vor ihrer Tür.

„Altes Leben?“ fragt sie nur. Eila nickt und lässt sie herein. „Danke.“
„Kein Thema. Lass uns loslegen.“ Lea geht ins Wohnzimmer und beginnt gemeinsam mit Eila Kerzen, Räucherwerk und Steine bereitzulegen, Dinge, die sie immer für dieses Ritual nutzen.

„Willst du Musik?“ fragt Lea.

„Nein, ich mache es ohne.“ entgegnet Eila und setzt sich auf ihrem Meditationskissen zurecht.

Lea nimmt ihr gegenüber Platz und gemeinsam bitten sie um Beistand und Schutz, um Wissen und Wahrheit und lassen sie sich in Trance fallen.

 

Eila heißt die Vergangenheit willkommen.

Sie wird in eine andere Zeit geflasht. Sie ist eine sehr junge Frau im 13. Jahrhundert. Sie hat die Gabe, Dinge zu sehen, die andere nicht wahrnehmen und so auch Menschen zu heilen.

Sie heißt Helene und ist Hebamme. Sie lebt in einem kleinen Häuschen mit zwei Zimmern bei ihrem kranken Vater und pflegt ihn bis zu seinem Tod.

Eila sieht sich als Helene in der kleinen einfachen Stube stehen und um ihren Vater trauern.

Sie bittet um Beistand, darum, die Trauer zu überstehen, und spürt die Anwesenheit von Darius. Helene blickt auf und nimmt ihn wahr.

Die Vision switcht. Helene sitzt auf ihrem Bett und spricht mit Darius, der dieselben Umrisse hat, die sie als Eila bereits kennt.

Sie sitzen nebeneinander auf dem Bett, Darius hat seine Hand über Helenes gelegt, dazwischen erscheint goldenes Licht.

Wieder switcht die Vision. Helene zupft an ihrem Kräutergarten herum. Helene holt ein Kind auf die Welt. Helene bereitet einen Kräutertrank, es switcht und switcht, dazwischen immer wieder intensive Momente mit Darius.

Hör auf tönt es plötzlich schmerzvoll in Eilas Kopf und die Visionen stoppen.

Hör auf.

Eila atmet tief durch und fragt in Gedanken „Warum?“

Es ist nicht gut.

Lea bewegt sich leicht, berührt sie am Knie. „Eila? Alles ok mit dir? Du weinst.“

Eila taucht wieder aus ihrem Trancezustand auf. „Ja, alles ok. War heftig.“

„Dann hat es geklappt?“ fragt Lea aufgeregt.

„Ja, zum Teil hat es geklappt, ich habe etwas sehen können, aber ich nicht das, was ich eigentlich wissen wollte.“ antwortet Eila traurig. Der Schmerz von Darius nimmt ihr den Atem.

„Eila, ich weiß, dass ich nicht fragen soll – ich nehme an, es hat etwas mit dem zu tun, was du mir im Bistro schon nicht sagen konntest, aber langsam fange ich an, mir enrsthaft Sorgen zu machen.“

„Musst du nicht, es ist nichts, was irgendwie gefährlich ist, denke ich…“ Eila horcht in sich hinein. „Nein, es ist nicht gefährlich, es ist nur etwas, das ich unbedingt erfahren möchte, das aber noch im Dunklen liegt. Und es ist traurig. Aber es macht mich verrückt, nicht die ganze Wahrheit erkennen zu können, auch wenn ich nun ein Stückchen weiter bin.“

„Und das Stückchen reicht dir wie immer nicht, stimmts?“ Lea nimmt sie in den Arm. „Du weißt genau, dass es Zeit braucht, Dinge herauszufinden, gib dir selber die Zeit, bitte.“

„Ja, ich weiß, das leidige Thema Ungeduld.“ Eila drückt die Freundin und wendet sich dann zu den Kerzen, um sie auszupusten. „Ich bin so müde.“

„Soll ich dabeibleiben oder möchtest du….“ lachend unterbricht Lea sich selbst, „vergiss es, ich weiß ja, dass du danach immer gerne alleine bist! Ich mach mich vom Acker. Wenn du mich brauchst, ruf an.“ Sie zwinkert Eila zu und geht zur Tür.

„Danke, dass du so schnell gekommen bist.“

„Immer gern, weißt du doch, so wie du zu mir kommst, wenn es eilt! Dafür sind wir da.“ Lea wirft ihr eine Kusshand zu und ist verschwunden.

Eila schließt die Tür und bleibt einen Moment lang stehen, mit der Stirn gegen die Tür gelehnt. Dann dreht sie sich um.

„Darius? Warum hast du die Vision unterbrochen?“

Keine Antwort.

Sie konzentriert sich auf ihn, spürt seine Präsenz. „Ich weiß, dass du da bist, rede mit mir, verdammt.“

Schmerz, Trauer. Verzweiflung und Unsicherheit. Nicht ihre Gefühle. Ihre sind Ärger und Unverständnis.

„Bitte. Darius?“

Nicht, wenn du wütend bist.

„Gut, dann gib mir einen Moment.“

Und du mir.

 

 

Eila geht in ihr Arbeitszimmer, holt sich eine Leinwand und ihre Acrylfarben und beginnt zu malen. Nach zwei Stunden legt sie die Pinsel beiseite und atmet einige Male tief durch.

Sie ist nun ruhig und entspannt.

„Du hast mich angelogen, Darius. Du hast gesagt, du hattest solch eine Verbindung noch nie. Das stimmt nicht, du hattest sie mit mir. Damals.“

Ja und nein. Ich hatte sie nie mit einem anderen Schützling. So gesehen habe ich dich nicht angelogen.

Ok, das ist Haarspalterei.

Nicht wirklich, Eila, die Verbindung war da – aber anders. Ich kann es nicht beschreiben. Sie war jedenfalls nicht derartig gegenseitig wie sie offenbar jetzt ist. Du spürst mich immer deutlicher.

„Und das ist schlecht?“

Das weiß ich nicht. Es verunsichert mich.

„Und mich erst.“ Eila geht mit ihren Pinseln ins Badezimmer und wäscht sie aus.

„Möchtest du mir sagen, warum du die Visionen unterbrochen hast?“

Akzeptierst du ein nein?

„Ja!“

So einfach?

„So einfach!“

Warum?

„Weil du offensichtlich einen Grund hast.“ Sie verstaut ihre Pinsel, löscht das Licht im Arbeitszimmer und geht ins Bett.

Darius taucht neben ihr auf. Eila…?

„Ja?“

Geh in dein tiefes Inneres und du findest die Antwort auf jede einzelne Frage.

„Ich habe keine gestellt.“

Suche.

Seine Umrisse verblassen und Eila sinkt in einen tiefen Schlaf. Sie träumt von Darius.

V.

Am nächsten Morgen wacht Eila spät auf. Sie bleibt eine Weile liegen und denkt nach über das, was sie in der Nacht herausgefunden hat und über das Gespräch mit Darius. Sie spürt ihn um sich, aber sie will nicht mit ihm kommunizieren. Sie will allein sein und nachdenken. Er zieht sich zurück, sodass sie ihn kaum noch wahrnimmt.

Doch so sehr sich Eila auch auf die Ereignisse der Nacht konzentriert, sie findet keine Antwort auf ihre Fragen.

Such nicht in der Vergangenheit.

„Sei still. Du störst meine Konzentr…“

Such in der Gegenwart unterbricht er sie unwillig.

Entnervt schmeißt Eila ihre Decke weg und steht auf, stapft ins Bad unter die Dusche.

Entschuldige schwappt es aus dem Schlafzimmer zur ihr.

Ich glaube, ich habe auch ein Problem mit Geduld kommt es schuldbewusst hintennach.

Eila muss lachen.

Es gefällt mir besser, wenn du über mich lachst als wenn du wütend auf mich bist.

„Wie kann ich auf meinen Beschützer wütend sein?“ fragt sie.

Ja, wie kannst du nur? Tatsache ist, du bist es.

„Das schaffe wohl auch nur ich, was?“ fragte Eila hinter der Duschkabine. „Es tut mir leid, eigentlich bin ich nicht wütend auf dich, sondern nur darüber, dass ich nicht herausfinden kann, was ich wissen will – oder auch von mir aus darüber, dass ich so ungeduldig bin.“

Naja, ich habe dich wohl gestern und vorhin auch noch etwas gedrängt, das macht es nicht besser. Tut mir leid.

„Bist auch nur ein… Beschützer, was?“  Sie tritt lachend aus der Dusche, trocknet sich ab und cremt sich mit ihrer Bodylotion ein. „Darfst du als Beschützer so ungeduldig sein?“
Ich weiß überhaupt gar nicht mehr, was ich darf und was nicht.

„Warum?“

Habe ich dir doch schon erklärt, es ist neu für mich.

„Naja, nicht wirklich neu, wie ich seit letzter Nacht weiß.“ erwidert Eila.

Auf gewisse Weise schon, denn eine solche Situation hatte ich damals nicht. Da war es tatsächlich das erste Mal, dass du mich wahrgenommen hast, jetzt ist es das zweite Mal und du erinnerst dich an das erste Mal.

„Und dafür gibt es keine Regeln? Ist das noch nie passiert?“

Nicht, dass ich wüsste, aber ich weiß auch nicht alles, sage ich dir gleich.

„Und ich weiß noch viel weniger – also wenn wir beide die Regeln nicht kennen, kann man uns auch keine Schuld zuweisen, irgendwelche zu brechen, oder?“

Na, du bist mir eine Dialektikerin.

Eila grinst als sie mit ihrem Handtuch bekleidet ins Schlafzimmer zurückkommt. „So, bin ich das?“

Sie sucht sich ihre Kleider zusammen. „Mach dich mal aus dem Zimmer und gib mir wenigstens die Illusion, mich unbeobachtet umziehen zu können, bitte.“

Die Silhouette verblasst.

„Ich meine ganz weg, nicht bloß deine Umrisse, Darius.“

Bin schon weg.

„Männer sind doch alle gleich, egal, ob Mensch oder Beschützer.“ motzt Eila vor sich hin und zieht sich ihren Pulli über.

Das hab ich mitbekommen.

„Das solltest du auch.“ grunzt sie durch die Maschen des Pullovers. „Bist du überhaupt ein Mann?“

Wonach sieht es denn aus?

„Die Verpackung sagt nicht zwingend etwas über den Inhalt aus, habe ich gelernt. Und ich habe keine Ahnung, wie das bei euch Beschützern so ist.“ Eila zwängt sich in ihre Jeans. „Aber du kannst mich ja aufklären.

Das mit dem Aufklären ist schon seit einigen vielen vielen Jahren nicht mehr nötig bei dir.

„Das glaube ich jetzt nicht, bist du meine Eltern?“ schimpft sie. „Du willst mir doch jetzt nicht vorhalten, dass ich Sex hatte?“

Sein Lachen schwappt näher. Kann ich wieder reinkommen?

„Ja.“

Seine Umrisse erscheinen in der Tür.

„Nett von dir, dass du mir den Eindruck vermittelst, gerade reinzukommen….“ zieht sie ihn auf.

Für dich tu ich alles zwinkert er ihr zu.

„Gut, fangen wir mit deiner Antwort an, was bist du? Männlich?“ fragt Eila während sie ihr Bett macht.

Sieht fast so aus, obwohl Beschützer eigentlich nicht tatsächlich ein Geschlecht haben. Ich bin in deinem Fall einfach dein Gegenstück, also irgendwie männlich.

„Klasse, irgendwie männlich…“ wiederholt Eila und grinst. „Kein echter Mann würde sich so über seine Männlichkeit ausdrücken, fürchte ich.“

Oder nur solche nicht, die sich ihrer Männlichkeit nicht sicher sind kontert Darius.

„Verdammt gute Antwort.“ Sie geht in die Küche und beginnt sich Frühstück zu machen.

Fertig mit den Fragen?

„Niemals!“ Eila setzt sich an ihren Esstisch und betrachtet seine Umrisse. „Du wirkst angezogen…?“

Du willst jetzt nicht wissen…?

„Doch, ich will wissen, ob du unter den scheinbaren Klamotten auch ein Mann bist.“ unterbricht sie ihn kauend.

Du bist wirklich furchtbar.

„Damit kann ich leben, denke ich. Also?“ grinst sie.

Ich glaube schon. Ich habe mich damit nie wirklich befasst.

„Ok, andere Frage, bei einem anderen Schützling, was warst du da?“ bohrt sie weiter.

Bei einem anderen Schützling war mein Geschlecht unwichtig, da mich niemand außer dir je gesehen hat.

„Daraus ergibt sie wiederum die Frage, warum es bei mir  von Bedeutung ist? Und zwar beide Male.“

Darius sieht sie schweigend an.

„Was ist?“

Die Antwort gefällt dir nicht.

„Dann gib mir eine, die mir gefällt.“ fordert Eila.

Es gibt nur eine Antwort.

„Ich höre?“

Sie liegt in dir.

„Scheiße.“ flucht Eila und steht verärgert auf, „immer das gleiche. Ich gehe jetzt malen. Und ich bin nicht wütend auf dich, ich begreife langsam, dass du anscheinend Recht hast, das macht es trotzdem nicht einfach, immer dieselbe Antwort zu kriegen auf alle Fragen. Irgendwo ist da wohl eine ganz große Rechnung offen und ich bin diejenige, die alles zusammenzählen soll.“

Auch ich habe Fragen schwingt es hinter ihr her aber nur du hast die Antworten – auch auf meine Fragen.

„Ich brauche Abstand davon, entschuldige.“ Eila stellt ihr Frühstücksgeschirr in den Geschirrspüler und stapft ins Arbeitszimmer, um sich weiter ihrem Bild zu widmen.

Acht Stunden später streckt sie ihre verspannten Muskeln und wäscht ihre Pinsel aus. Sie hat drei Bilder gemalt, wilde Farbexplosionen auf Leinwand gebannt, leidenschaftliche gewaltige üppige dreidimensionale Werke geschaffen.

Sie sind wunderschön.

„Danke.“

Geht es dir besser?

„Ja, aber mir knurrt der Magen.“ Eila geht zum Telefon und bestellt sich ihre Lieblingspizza.

Soll ich mich zurückziehen?
„Nein, leiste mir Gesellschaft. Irgendwie. Aber lass uns nicht über diesen ganzen Kram reden.“

Fernsehen?

Eila lacht. „Das hat schon fast was echtes, was kumpelhaftes.“
So wars gedacht. So normal wie möglich.

„Ganz neue Taktik. Versuchen wirs.“

Sie kuschelt sich an das eine Ende der Couch, die Beine auf dem Couchtisch, Darius´ Hülle sitzt in der anderen Ecke.

„Möchtest du die Fernbedienung?“ fragt Eila grinsend.

Haha, sehr witzig.

„Sorry, kam so über mich. War nicht so gemeint.“ entschuldigend schaut sie ihn an.

Jaja, schon gut. Mach den Fernseher an jetzt und lass mich dir ein echter Kumpel sein.

Sie schießt ihm einen zweifelnden Blick zu, der ihn irritiert.

Was?

„Nichts.“

Muss ich deinen Kopf nach der Antwort durchsuchen?

„Hmpf. Nein. Mir wäre es lieber, wenn du das nicht tät…“

Wow unterbricht er sie. WOW!

„Lass das.“ sie wendet sich errötend ab.

Wow, du hast da eben einen nicht gerade seriösen Gedanken im Kopf gehabt.

Es klingelt an der Tür und Eila springt erleichtert auf.

Darius lacht. Wir sind noch nicht fertig damit.

„Meine Pizza.“

Sie läuft zur Tür und nimmt ihre Pizza in Empfang, zahlt und geht in die Küche, schneidet sie dort in Stücke und hat sich dann soweit erholt, dass sie sich zurück ins Wohnzimmer traut. Darius verfolgt grinsend ihren Weg von der Küche bis zum Sofa, wo sich sich erneut errötend setzt.

„Darius, bitte, das ist echt peinlich genug, du musst dich nicht noch daran weiden.“

Ist schon gut, das muss dir nicht peinlich sein. Ist ja direkt ein Kompliment für mich.

„Können wir BITTE das Thema wechseln?“ fleht Eila immer noch verlegen.

Ich find das echt niedlich gerade.

„Sei still.“

Ehrlich.

„Nein, es reicht. Ich hab mich genug blamiert, du musst das nicht noch auswalzen.“

Ja, ok, ich hör schon auf. Genieß deine Pizza.

„Danke. Magst ein Stück?“ jetzt ist es an Eila frech zu grinsen.

Haha.

„Ist wirklich lecker. Findest du es jetzt gerade nicht sehr schade, dass du nicht isst?“ zwickt sie ihn weiter auf.

Eila, …

„Ich würde dir wirklich gerne was abgeben, ich teile gerne mit meinen Freunden.“

Deine Gedanken waren nicht gerade freundschaftlicher Natur, wenn ich dich nochmal en eben erinnern darf.

„Du kannst ganz schön fies sein.“ mampft Eila mit vollem Mund und lacht. „Ok, ich hatte gerade ein paar unkeusche Gedanken und du hast sie unglückseligerweise aus meinem Kopf gezapft, damit müssen wir nun beide leben. Leider oder Gott sei Dank….“ sie grinst frech, „wird es ja bei diesen Gedanken bleiben. Außerdem scheint deine Hülle nicht gerade abstoßend zu sein und auch sonst bist du nicht gerade der schlimmste „Typ“, den ich kenne.“

Darius schweigt.

„Was ist? Auf einmal empfindlich geworden?“
Nein, alles ok. Ich will deine Pizza.

Eila lächelt. „Ich würde sie wirklich mit dir teilen, wenn es ginge. Und ich finds ehrlich schade, dass es nicht geht.“

Ich weiß.

Sie schauen sich einen Spielfilm an, tauschen hin und wieder einige Sätze aus bis Eila irgendwann auf dem Sofa einschläft. Darius beobachtet sie nachdenklich beim Schlafen.

Als sie anfängt sich hin und her zu werfen, taucht er kurz in ihren Kopf und weckt sie dann sanft von ihrem Albtraum auf.

Eila, du träumst, wach auf. Es ist nur ein Traum.

„Was? Was passiert?“ Sie schaut sich um und schüttelt. „Püh, das war aber fies.“

Du hattest schlecht geträumt.

„Ja, und wie schlecht, ich stand auf nem Scheiterhaufen und brannte lichterloh.“

Geh ins Bett, da ist es bequemer. Meinst du, du kannst wieder einschlafen?

„Ja, glaub schon. Kommst du mit?“ fragt sie und schaltet den Fernseher aus.

Du weißt, ich bin …

„… immer da, ja, ich weiß.“ beendet Eila seinen Satz und schlurft in ihr Schlafzimmer. „Mannomann, was für ein beschissener Traum.“ Plötzlich durchfährt es sie wie ein Ruck. „Das war kein Traum, Darius. Das war eine Erinnerung.“ Sie erstarrt in der Bewegung, greift sich ans Herz. „Das war die Erinnerung, verdammt nochmal, so bin ich damals gestorben.“ Erwartungsvoll schaut sie Darius an und wartet auf eine Reaktion von ihm.

Ja, so habe ich dich verloren damals.

Ein gewaltiger Schmerz durchzuckt Eila, der ihr fast den Atem nimmt.

„Warum tut das so weh?“ flüstert sie.

Es tut mir so leid.

„Warum? Meine Zeit war abgelaufen, oder?“

Ja, war sie.

„Und?“

Ich konnte es nicht ertragen.

„Du konntest was nicht ertragen?“

Den Verlust. Ich konnte es nicht ertragen, dich zu verlieren.

„Das ist dieser unglaubliche Schmerz? Ich spüre deinen Schmerz über den Verlust vor hunderten von Jahren? Jetzt?“

So scheint es.

„Wie…?“

Ich weiß es nicht, Eila, wirklich nicht.

„Warum konntest du es nicht ertragen?“

Darius schweigt. „Ah, geh weg, schon wieder liegt die Antwort in mir, ja?“ fragt Eila erzürnt.

Darius nickt langsam.

„Das bringt mich langsam an den Rand des Wahnsinns.“ Sie legt sich ins Bett und boxt sich ihr Kissen zurecht. „Wie zum Henker finde ich all diese Antworten?“ Darius setzt sich auf das Bett. Es gibt nur eine Antwort, aber sie passt auf alle Fragen.

„Nerv mich nicht mit kryptischen Anspielungen.“

Mehr kann ich dir nicht sagen.

„Mehr willst du mir nicht sagen.“

Nein, ich weiß wirklich nur das, Eila, glaub mir.

Sie knurrte und drehte sich von ihm weg.

Dreh dich um.

Eila ignoriert ihn.

Dreh dich um, fordert er, ich werde versuchen, dir zu beweisen, dass ich es nicht weiß.

Erstaunt dreht sie sich zu ihm. „Wie?“

Versuchen wir etwas. Wenn du meinen Schmerz spüren kannst, kannst du vielleicht auch noch mehr spüren.

Darius legt sich neben sie, sodass sie sich in die Augen sehen.

Gib mir deine Hand.

Eila legt ihre Hand an den Umriss seiner Wange und schließt die Augen. Auch Darius schließt die Augen und konzentriert sich darauf, sich ihr zu öffnen.

Eila fühlt, wie sich in ihre eine unglaubliche Wärme ausbreitet, sie spürt seine unendlich tiefe Zuneigung zu ihr, seinen Schmerz um den Verlust von Helene und sie sieht, dass ihn ebensoviele Fragen quälen wie sie selbst. Er hat tatsächlich keine Antwort, weiß nur, dass in ihr die Antwort liegt auf seine und ihre Fragen. Es scheint, als sei in ihm ein blinder Fleck.

„Gut, du weißt also auch nicht mehr.“ Eila öffnet die Augen und bemerkt, dass Darius sie beobachtet. „Aber wie hast du das gemacht, dass ich jetzt in dir lesen konnte?“

Es war ein Versuch, ich wusste nicht, ob es funktionieren würde.

„Ja, aber wie hast du es gemacht?“

Ich hab versucht, mich dir zu öffnen.

„Deine Gedanken?“

Einen Teil davon.

„Schade. Ich hätte gerne mehr gesehen.“ lächelt Eila und bevor er reagieren kann, fügt sie hinzu: „Ich weiß schon, es ist nicht erlaubt, blablabla. Interessieren wird es mich trotzdem immer.“

Darius schweigt.

„Darius, der blinde Fleck in deiner Erinnerung oder in deinen Gedanken, was bedeutet er?“ fragt Eila.

Mir fehlt ein Teil meiner Erinnerung, das ist der Grund, warum ich dir nicht auf alles antworten kann.

„Aber warum ist das so?“ nachdenklich reibt sich Eila das Kinn. „Es fühlt sich an wie ausgelöscht.“

Ja, so fühlt es sich an. Und ich glaube, es ist auch so. Es wurde mir ausgelöscht.

„Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass das der Dreh- und Angelpunkt ist.“ glaubt Eila und richtet sich aufgeregt auf. „Das bedeutet aber doch, dass die Antworten auch in dir liegen, oder?“

Ich glaube eher, die Antworten liegen in dir und wenn du sie findest, kehrt meine Erinnerung vielleicht zurück.

„Hm, auch eine Möglichkeit.“ Eila legt sich wieder auf ihr Kissen. „Jedenfalls wäre das eine Erklärung für deine Ungeduld.“ grinst sie ihn an.

Er lacht. Kann sein.

„Ob wir das wohl irgendwann herausfinden?“

Wer, wenn nicht du? So sturköpfig und hartnäckig wie du bist.

„Das kann dabei nur von Vorteil sein.“ verteidigt sie sich.

Dann kommt ihr ein neuer Gedanke. „Hattest du eigentlich sehr viel damit zu tun, mich zu beschützen bisher? Ich meine, bin ich ein schwieriger Fall?“

Ja, du bist ein schwieriger Fall, aber nicht, weil ich sonderlich viel zu beschützen hätte. Du bist ziemlich sicherheitsbedacht, von daher bist du ein recht angenehmer Schützling. Da gab es tollpatschigere Seelen, die ich oftmals vor sich selbst beschützen musste.

„Aber…?“

Manchmal machst du dir dein Leben selber schwer, und das ist nicht leicht zu beobachten.

„Ach so. Ja, ich glaube, da hast du Recht. Deswegen arbeite ich ja an mir.

Das merkt man.

„Danke.“

Und das wiederum macht es so interessant, dein Leben zu begleiten.

„Na, da bin ich aber froh, dass ich es dir aufregender gestalte, mich zu beschützen, wo du ja offensichtlich mit deiner eigentlichen Aufgabe bei mir nicht gerade überfordert zu sein scheinst.“

Ich glaube, wenn ich könnte, würde ich dich dafür jetzt schubsen.

„Kannst du aber nicht.“ Eila dreht sich auf ihre Einschlafseite. „Und außerdem würde ich zurückschubsen.“ murmelt sie noch kurz bevor sie einschläft.

Kannst du aber nicht.

Lächelnd driftet Eila in die Traumwelt.

 

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©Katja Heinrich